Otto König/Richard Detje: Metall- und Elektroindustrie – Tarifkonflikt eskaliert

»24-Stunden-Streiks« sollen Arbeitgeber zum Einlenken zwingen

31.01.2018 | Der Tarifkonflikt für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie ist eskaliert. Nach dem ergebnislosen Abbruch der Verhandlungen in Baden-Württemberg ruft die IG Metall die Beschäftigten in 250 Betrieben bundesweit zu »24-stündigen-Warnstreiks« auf. Mit den Tagesstreiks »zeigen wir, dass die IG Metall den ökonomischen Druck erhöhen kann«, warnte der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann die Metallarbeitgeber. Das sei die letzte Gelbphase vor der Rotphase eines Flächenstreiks.

In den zurückliegenden Wochen forderten fast eine Million Metaller_innen, 250.000 mehr als in der Tarifrunde 2016, mit mehrstündigen Warnstreiks einen neuen Tarifvertrag mit den Kernpunkten: 6% mehr Entgelt und das individuelle Recht, die Wochenarbeitszeit bis zu zwei Jahre lang auf bis zu 28 Stunden reduzieren zu können – mit einem Rückkehrrecht auf Vollzeit sowie einem Teilentgeltausgleich für Schichtarbeiter sowie für jene Beschäftigte, die sich um die Betreuung ihrer Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern müssen. Selbstbewusst stellen sie die Machfrage: Wer bestimmt darüber, wann und wie lange von wem gearbeitet wird? Es geht ihnen um mehr Geld, aber auch um mehr Zeitsouveränität.

Die Ergebnisse der fünften Tarifverhandlung am 26./27. Januar in Stuttgart sollten wegweisend für die sieben IG Metall-Bezirke in Deutschland werden. Doch die Metallarbeitgeber boten lediglich knapp 3% mehr Lohn und blockierten bei der Arbeitszeit und dem Engeltzuschuss vernünftige Lösungen, die Voraussetzung für einen neuen Tarifvertrag gewesen wären. Stattdessen schimpften sie über das »maßlose« und »inakzeptable« Verhalten der IG Metall, so Südwestmetall-Chef Stefan Wolf.

Angesichts der Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft boomt, die Produktion auf Hochtouren läuft und die Auftragsbücher voll sind, drückt sich hierin eine geringe Wertschätzung der »lieben Mitarbeiter« aus. Zumal der Ifo-Geschäftsklimaindex, der die Erwartungen der Unternehmen für die Zukunft widerspiegelt, im Januar erneut auf ein Rekordhoch stieg. Die Aktienkurse legen immer weiter zu. Der Dax erreichte vor wenigen Tagen bei 13.580 Punkten ein neues Rekordhoch.

Dennoch gibt es sie – die »Maßhalteapostel«. So habe die IG Metall ein »Luxusproblem«, polemisiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung, denn sie habe ein Angebot ausgeschlagen, das »die Arbeitgeber auf 6,8%« beziffern. Selbst wenn man dieses Einkommensplus ordnungsgemäß auf die angepeilte Laufzeit von 27 Monaten umrechne, komme man auf gut 3% pro Jahr. Und das als Zuschlag auf ein Jahresdurchschnittseinkommen, das 64.000 Euro betrage. Die FAZ warnt vorsorglich vor der gewerkschaftlichen »Lust am Untergang«.

Dass der Tarifkonflikt eskaliert, liegt nicht allein daran, dass die Unternehmen die Lohnkosten möglichst niedrig halten wollen. Es ist die Arbeitszeit, die ein umkämpftes Terrain ist. Die abhängig Beschäftigten ringen seit eh und je mit der Kapitalseite um die kollektive Aushandlung von Arbeits- und Lebenszeit. Deshalb ist für die Arbeitgeber insbesondere die geforderte individuelle Möglichkeit der Arbeitszeitreduzierung, also eine Arbeitszeitkultur, in der die persönlichen Zeitinteressen der Beschäftigten gegenüber den Flexibilisierungsoffensiven der Unternehmen stärkeres Gewicht bekommen, ein »No-Go«. Sie wollen in die entgegengesetzte Richtung: Die Arbeitszeiten sollen verlängert und weiter flexibilisiert werden, unter anderem durch die Aufweichung der Schutzregeln des Arbeitszeitgesetzes.

Dabei sei die IG Metall den Arbeitgebern in der Arbeitszeitfrage »sehr weit entgegengekommen, zum Beispiel bei der Flexibilisierung der Arbeitszeiten nach oben und unten«, räumt der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann ein. So sollten die Unternehmen die Verkürzung der Arbeitszeiten für einzelne Beschäftigte mit Arbeitszeitverlängerung kompensieren können, indem sie den Anteil jener Beschäftigten hätten ausweiten können, die bis zu 40 Stunden arbeiten dürfen. Damit wäre das durchschnittliche betriebliche Arbeitszeitvolumen nicht abgesenkt, sondern erhalten geblieben.

Der umstrittenste Punkt im gegenwärtigen Tarifkonflikt ist der Zuschuss für bestimmte Gruppen, die ihre Arbeitszeit bis auf 28 Stunden reduzieren. Durch die Argumentation von Gesamtmetall, diese Forderung der IG Metall sei »rechtswidrig« und damit nicht unterschriftsfähig, weil sie Teilzeit-Beschäftigte »diskriminiere«, die nicht in den Genuss eines Zuschusses kommen, bauten sie einen weiteren Popanz auf.

Um den Arbeitgebervorwurf der Ungleichbehandlung zu umgehen, sollte statt eines »individuellen Entgeltausgleichs« ein ergänzendes »zusätzliches Urlaubsgeld« (E-ZUG) für alle vereinbart werden.[1] Schichtarbeiter sowie Beschäftigte mit Kindern oder pflegebedürftige Angehörigen, die Arbeitszeit reduzieren möchten, hätten die Wahlmöglichkeit gehabt, »Geld in zusätzliche freie Tage« umzuwandeln. Damit sie die Arbeitszeitverkürzung nicht ganz selbst bezahlen, sollten die Arbeitgeber »da noch einen Schnaps oben drauf setzen«, sagte der baden-württembergische IG Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger.

In dem von der IG Metall zuletzt vorgeschlagenen »konsistenten, durchdeklinierten« Modell sollten auch die Teilzeitkräfte einbezogen werden, was der Arbeitgeberverband mit Verweis auf die Kosten zurückwies. Dabei wäre der Kostenunterschied bei einem Teilzeitanteil in der Branche von 6% marginal gewesen, so die Gewerkschaft. Dass die Unternehmer diesen Vorschlag ablehnten, zeigt, dass ihre Behauptung, die Tarifforderung diskriminiere Teilzeitkräfte und sei daher rechtswidrig, Humbug ist.

Von der Arbeitgeberseite habe es »so gut wie kein konstruktives Angebot gegeben«, monierte Zitzelsberger. So haben neben den unterschiedlichen Betrachtensweisen der Volumina beim Entgelt vor allem die Versuche der Arbeitgeber, den Kreis der anspruchsberechtigten Schichtarbeiter klein zu halten, zum Abbruch der Verhandlungen geführt. Die Süddeutsche Zeitung wusste zu berichten, die Arbeitgeber hätten in Zwei-Schicht-Betrieben nur noch solchen Schichtarbeitern die 28-Stunden-Woche zugestehen wollen, die »mindestens 20 Jahre dabei und davon zehn Jahre im Schichtdienst sind«.

Der Verhandlungsführer von Südwestmetall spricht dagegen von »nicht erfüllbaren Bedingungen« der Gewerkschaft, die letztlich ein »Gesamtvolumen von acht Prozent« mehr Lohn und bei der Arbeitszeit den »begünstigten Personenkreis immer weiter gesteckt« habe. Für diese Sicht spreche auch die Gehaltsvorstellung der IG Metall: »Sechs Prozent war ihre Ausgangsforderung, nun sollen es acht Prozent in 27 Monaten sein – 4,5 Prozent allein in der ersten Stufe«, kommentiert Mathias Schiermeyer in den Stuttgarter Nachrichten (29.1.2018).

Im festgefahrenen Tarifkonflikt der Metall- und Elektroindustrie will die IG Metall erstmals in ihrer Geschichte nun mit 24-stündigen Warnstreiks ein Einlenken der Metallarbeitgeber erzwingen. Entsprechende positive Mitgliedervoten vorausgesetzt, soll von Mittwoch bis Freitag bundesweit in 250 Betrieben das neu geschaffene Instrument eingesetzt werden – die Produktion soll über drei Schichten stillstehen. Betroffen werden Betriebe aller Größen sein, vom Maschinenbau bis zur Elektro- und Fahrzeugindustrie. Die streikenden IG Metall-Mitglieder erhalten in diesem Fall – anders als bei den kurzen Warnstreiks – eine finanzielle Unterstützungsleistung aus der Streikkasse der Gewerkschaft.

»Wenn einen Tag nichts produziert wird, tut das weh«, ist die IG Metall überzeugt. »Die Betriebe sitzen auf einem enormen Auftragsbestand, gleichzeitig ist die Auslastung sehr hoch«, bestätigt ihn der Deutschland-Chefvolkswirt der Bank UniCredit, Andreas Rees. »Arbeitsausfälle können deshalb nicht so schnell und zügig wettgemacht werden, wie das normalerweise der Fall ist«. Dem Ifo-Institut zufolge liegt die Kapazitätsauslastung in der Autoindustrie bei mehr als 93%, normal wären 88%. Jörg Krämer von der Commerzbank sieht noch ein anderes Problem auf viele Firmen zukommen. »Anders als früher haben sie heute kaum noch Vorprodukte auf Lager, sondern hängen von pünktlichen Zulieferungen ab.« Wird die Lieferkette unterbrochen, stehen heute viel schneller die Bänder still (Handelsblatt, 29.1.2018).

Obwohl die Verhandlungen bisher nicht für gescheitert erklärt wurden, hat der Vorstand der IG Metall die einzelnen Tarifbezirke vorsorglich angewiesen, Urabstimmungen über Flächenstreiks vorzubereiten – für den Fall, dass sich auch nach den 24-Stunden-Warnstreiks keine Einigung am Verhandlungstisch abzeichnet. Während der 24-stündigen Warnstreiks wird nicht weiterverhandelt. Danach soll, wenn möglich, eine »zeitnahe Lösung« gefunden werden.

Gesamtmetall-Chef Rainer Dulger kündigte an, dass die Arbeitgeberverbände Klage gegen die Streiks einreichen werden. Allerdings wollen die Arbeitgeber anscheinend darauf verzichten, einstweilige Verfügungen von den Arbeitsgerichten zu fordern und sich stattdessen auf Verfahren in der Hauptsache beschränken, um auf diese Weise später bei der Gewerkschaft möglicherweise Schadenersatz eintreiben zu können. Die sonst immer beschworene Tarifpartnerschaft werden sie dann in den Boden stampfen können. Die Nachwirkungen könnten jahrelang zu spüren sein.


[1] Detlef Esslinger: Im Tunnel unterwegs, Süddeutsche Zeitung 29.1.2018.

Von: mf

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