Otto König/Richard Detje: Arbeitskampf der Halberg Guss-Beschäftigten gegen die Plattmacher von Prevent

Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht!

21.08.2018 | »Setzen Sie dem Wahnsinn ein Ende«, so der Appell von 22 Unternehmern an die Streikenden der Neue Halberg Guss (NHG). In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatten sie eine großformatige Anzeige geschaltet, um die Halberger in Leipzig und Saarbrücken sowie ihre Gewerkschaft zum Aussetzen des Arbeitskampfes zu bewegen.

Der seit mehr als fünf Wochen andauernde Erzwingungsstreik zeigte Wirkung. Abnehmern wie Volkswagen, Opel, dem Maschinenbauunternehmen BOMAG und dem Motorenhersteller Deutz drohte aufgrund von streikbedingten Lieferengpässen ein Produktionsausfall. Die bei Halberg gefertigten Motorblöcke und Kurbelwellen sind Herzstücke der Antriebe von PKWs und Lastwagen.

Der »Aufruf zur Beendigung des Streiks bei Halberg« war jedoch falsch adressiert. Denn die seit Anfang Juni streikenden Arbeitnehmer*innen wehren sich verzweifelt dagegen, dass der mit harten Bandagen geführte Konflikt zwischen Volkswagen und der deutsch-bosnischen Familie Hastor auf ihrem Rücken ausgetragen und das Leipziger Werk an die Wand gefahren wird, mit der Folge, dass Arbeitsplätze an beiden Standorten vernichtet werden. Die Halberger kämpfen zugleich gegen das destruktive Geschäftsmodell ihres neuen Eigentümers der Prevent-Gruppe, das der 2. Bevollmächtigte der IG Metall Saarbrücken, Patrick Selzer, so skizziert: »Autozulieferbetriebe, die am Rande der Insolvenz stehen, billig zu kaufen, dann die Kunden, also die großen Autohersteller, zu erpressen und mit Klagen zu überziehen, in der Zwischenzeit die Gewinne abzuschöpfen und eine Hülle mit Beschäftigten ohne Eigenkapital und Überlebensfähigkeit zurückzulassen« (IG Metall Website, 04.07.2018). Für seinen Leipziger Kollegen, den IG Metall-Bevollmächtigten Bernd Kruppa, zeigt diese Auseinandersetzung schlaglichtartig »die ganze Perversion des kapitalistischen Wirtschaftssystems«.

Es war Anfang Juni, als die Prevent-Gruppe bekannt gab, die Leipziger Gießerei in Rückmarsdorf, die mit 610 Stammbeschäftigten und 90 Leiharbeiter*innen Zylinderköpfe vor allem für Dieselmotoren produziert, »voraussichtlich bis Ende 2019« stillzulegen und gleichzeitig am Stammsitz im Saarbrücker Stadtteil Brebach, in dem Motorblöcke produziert werden, 300 von insgesamt 1.500 Arbeitsplätzen abzubauen.[1] Die NHG-Geschäftsführung begründete die Maßnahmen damit, dass der größte Kunde, der Wolfsburger VW-Konzern, seine Abnahmemenge reduziert habe und somit eine geringere Auslastung der Produktion zu erwarten sei; würde man darauf nicht mit Belegschaftsabbau reagieren, »stehe die Existenz des Unternehmens in Gänze auf dem Spiel«. VW und Daimler sind die wichtigsten Kunden; ihre Aufträge machen rund 70% des gesamten Produktionsvolumens von NHG aus.

Prevent hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass die Beschäftigten in Leipzig und Saarbrücken sich das Motto: »Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht« zu eigen machten. Nachdem die Verhandlungen über einen Sozialtarifvertrag mit der Geschäftsleitung gescheitert waren, hatten sich die Halberger mit rund 98% für einen Arbeitskampf ausgesprochen. Im Mittelpunkt stehen die Forderungen nach einer Transfer- und Qualifizierungsgesellschaft sowie einen vom Unternehmen zu finanzierenden Fonds, aus dem Abfindungen und Vermittlungsmaßnahmen für den Fall gezahlt werden sollen, dass die Gießerei wirklich geschlossen werden sollte. Die IG Metall verlangt Abfindungen für die Arbeitnehmer*innen in Höhe von 3,5 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr, dagegen steht bisher das Angebot von Prevent mit 0,4 bis 0,6 Monatsgehältern.

Am 14. Juni stand die Streikfront in Sachsen und im Saarland. Keiner sollte durchkommen, doch es wollte ohnehin fast niemand hinein. »Es geht um Respekt und Würde. Wir kämpfen für unsere Zukunft!«, heißt es in der Streikzeitung Nr. 1. Per Gericht versuchte die Geschäftsführung vergeblich, den Arbeitskampf verbieten zu lassen. Die Gewerkschaft musste mehrere Klagen abwehren, in denen die Rechtmäßigkeit des Streiks bestritten wurde. Erst an 34. Streiktag konnte die täglich erscheinende Streikzeitung nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hessen melden: »Streik rechtmäßig«.

Die Streikenden bildeten Menschenketten vor den Werkseingängen. Mit Demonstrationen, Autokorsos und Flashmobs machten sie auf ihren Arbeitskampf aufmerksam. Der Versuch des NHG-Geschäftsführers Alexander Gerstung, die Kolleg*innen im Saarland und in Sachsen gegeneinander auszuspielen – »dieser Streik setzt die Existenz des wirtschaftlich erfolgreichen Betriebsteils in Saarbrücken aufs Spiel« – ging genauso ins Leere wie die in offenen Briefen, die als ganzseitige Anzeigen in der Presse veröffentlicht wurden, ausgesprochene Drohung, die Beschäftigten seien dabei ihre Arbeitsplätze zu vernichten. Auch Sabotage-Vorwürfe und Prämien für Denunzianten und Streikbrecher in Höhe von 2.500 Euro hielt die Streikenden nicht von ihrem sechswöchigen Streik ab. Es war auch die Solidarität der Beschäftigten von Siemens, Porsche, Schnellecke, Volkswagen und Amazon, die den Streikenden den Rücken stärkte. So übernahmen in Saarbrücken während einer Verhandlungsrunde Beschäftigte aus anderen Betrieben die Streikposten. Anwohner brachten Essen vorbei oder steckten etwas in die Streikkasse.

Schließlich geht es in diesen Arbeitskampf um viel mehr als um den Kampf um einen ordentlich ausgestatteten Sozial-Tarifvertrag. Eine Vorahnung, was auf sie zukommen könnte, hatten IG Metall und Betriebsräte bereits, als sie im Januar überraschend erfuhren, wer Halberg-Guss übernommen hatte: die Prevent-Gruppe der Familie Hastor.[2] Als die Gruppe im Sommer 2017 den Küchenhersteller Alno übernahm, schrieb das Manager Magazin von einem »Krawall-Zulieferer« und von »Firmenpiraten«, die »härter als Heuschrecken und aggressiver als Aktivisten« seien (12.07.2017).

In der Automobilbranche kennen alle den Namen. Die Vertragsstreitigkeiten um Preise und Lieferbedingungen zwischen dem Zulieferer Prevent und Volkswagen produzieren seit zwei Jahren immer neue Schlagzeilen. »Wir haben sofort geahnt, dass wir zwischen die Mühlsteine geraten«, so der Betriebsratsvorsitzende des Saarbrücker Werks, Bernd Geier. Mit der Übernahme durch Prevent wurden die Halberg-Beschäftigten in diesen Konflikt hineingezogen.

Die Prevent-Gruppe hatte die Neue Halberg Guss vom Finanzinvestor S.D.L. Süddeutsche Beteiligungs GmbH gekauft, sodass NHG seitdem als Tochterfirma einer erst Mitte 2016 gegründeten Castanea Rubra Assets GmbH firmiert. VW hatte dem Vernehmen nach mit dem früheren Eigentümer SDL höhere Liefermengen vereinbart, um damit ein Sanierungskonzept für NHG zu unterstützen. Als jedoch Prevent das Unternehmen übernahm, kündigte VW an, das Lieferantenverhältnis beenden zu wollen. Daraufhin trieben die Hastors die Preise für die Motorblöcke drastisch in die Höhe, worauf sich Volkswagen zunächst weigerte, zu zahlen. Doch VW verlor den Prozess wegen Vertragsbruchs. Die NHG wurde damit innerhalb kürzester Zeit zum Spielball im Kampf zwischen VW und Prevent.

Der Konflikt zwischen dem Wolfsburger Konzern und der Familie Hastor schwelt schon seit längerer Zeit. 2015 hatte Prevent in Brasilien den Sitzbezug-Hersteller Keiper übernommen. Es folgten Lieferstopp, Preiserhöhungen und schließlich die Kündigung durch VW. Der Zwischenfall brachte Volkswagen 160 Tage Produktionsstopp, ein Minus von 140.000 Fahrzeugen und Zwangsurlaub für rund 18 000 Beschäftigte ein. Ein Jahr später stoppten von Prevent neu erworbenen Unternehmen – der Sitzbezügehersteller Car Trim im vogtländischen Plauen und die Car-Trim Tochter Foamtec im sachsen-anhaltischen Stendal sowie die ES Automobilguss in Schönheide im Erzgebirge[3] – die Lieferung von Sitzbezügen und Getriebeteilen, um Verträge nachzuverhandeln. Wiederum standen die Bänder bei VW, u.a. in der Golf-Produktion des Stammwerks Wolfsburg, für mehrere Tage still.

Zwar einigten sich die Kontrahenten und es wurde wieder geliefert, aber VW sah sich nach Alternativen um und kündigte die Verträge mit Prevent. Der Machtkampf mit VW hatte existentielle Folgen für die Beschäftigten des Zulieferers: Kündigungen wurden ausgesprochen, mittelfristig sind hunderte Arbeitsplätze gefährdet. Die IG Metall kämpft aktuell bei ES Automobilguss um einen Beschäftigungssicherungsvertrag für die verbliebenen 220 der einst 400 Arbeitnehmer*innen.

»Euer Kampf ist nicht vorbei. Ihr setzt den Streik aus, damit die Schlichtung eine Chance hat«, sagte Olivier Höbel, Bezirksleiter der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen zu den Kolleg*innen am Werkstor an der Merseburger Landstraße im Leipziger Westen. Die IG Metall gehe damit nach dem sechswöchigen Streik den »Weg einer Deeskalation«, jetzt müsse die Arbeitgeberseite Wort halten, um zügig zu einer Lösung des Konflikts zu kommen. »Sollte sich die Geschäftsführung nicht bewegen, werden die Kolleginnen und Kollegen den Streik jederzeit wieder aufnehmen«, legte der Bezirksleiter der IG Metall Mitte, Jörg Köhlinger, nach.

Nachdem die NHG-Geschäftsführung Schlichtungsgesprächen zugestimmt hatte, begannen diese am 30. Juli 2018 unter dem Vorsitz des Schlichters Lothar A. Jordan, dem ehemaligen Vizepräsidenten des Arbeitsgerichts Mannheim. Nach vier erfolglosen Schlichtungsrunden wurden die Gespräche auf Vorschlag des Vorsitzenden Jordan auf den 22. August vertagt, da »sich ändernde Rahmenbedingungen«, ergeben hätten, erstmals sei von »möglichen Lösungswegen« für die Zukunft der Saarbrücker Motorblock-Gießerei die Rede gewesen, schreibt die Saarbrücker Zeitung (11.08.2018). Während sich die IG Metall nicht dazu äußerte, was das konkret bedeuten könnte, verwies die NHG-Geschäftsführung auf eine stabile Verhandlungssituation, die es rechtfertige, die »Gespräche weiterzuführen und nicht etwa abzubrechen«.

Noch ist nicht sicher, ob es gelingt, die Neue Halberg Guss in Gänze oder in Teilen zu retten – beides ist nicht ausgeschlossen. Die IG Metall muss ihre Strategie fortsetzen und nach einer dauerhaften Lösung suchen. »Die gibt es nicht ohne den Hauptkunden Volkswagen. Ohne den Investor Prevent vielleicht schon«, kommentierte die Wirtschaftsredakteurin Karin Mayer im Saarländischen Rundfunk (30.07.2018). Bei der Grammer AG, einem Hersteller von Sitzen für Spezialfahrzeuge und Autokonsolen im bayerischen Amberg, wurde jüngst der schmutzige Übernahmekampf dadurch beendet, dass die Investmentgesellschaft Cascade, hinter der die Prevent-Gruppe steht, nach heftigem Widerstand ihre gut 19-prozentige Grammer-Beteiligung an den chinesischen Fahrzeugzulieferer Ningbo Jifeng verkaufte.

Auch wenn bisher bei der Neue Halberg Guss GmbH kein »weißer Ritter« auszumachen ist, steht fest: Schon jetzt haben die Halberger ein Stück weit gewonnen. Denn sie haben gezeigt, dass sie nicht alles mit sich machen lassen. Der Zusammenhalt in der Belegschaft ist durch den Streik gewachsen. Sie sind in der Lage, noch einmal eine Schippe draufzulegen, sollte sich in der Schlichtung keine Lösung abzeichnen.


[1] Die Leipziger Gießerei hat eine mehr als hundertjährige Tradition. Das jetzige Werk wurde ab 1983 von japanischen Spezialisten für das VEB Metallgusswerk errichtet. 1993 wurde es von der Treuhand an die Halberg Guss GmbH in Saarbrücken verkauft, die damals im Besitz des französischen Konzerns Saint Gobain war. In den Jahren 2009 bis 2011 war Halberg insolvent. Die Beschäftigten verzichteten auf Geld oder nahmen unbezahlten Urlaub, um den Betrieb zu erhalten. Ein Finanzinvestor aus den Niederlanden übernahm Halberg Guss und verkaufte die Werke im Juli 2017 an den Finanzinvestor S.D.L. Süddeutsche Beteiligungs GmbH. Im Januar 2018 übernahm VW-Schreck Prevent das mittelständische Unternehmen. Die Neue Halberg Guss firmiert seitdem als Tochterfirma der Mitte 2016 gegründeten Castanea Rubra Assets GmbH.

[2] Firmenpatriarch Nijaz Hastor (66), seine Frau Mirsada (57) und die Söhne Kenan (37) und Damir (35) haben sich in 24 Jahren ein Imperium mit einem Umsatz von drei Milliarden Euro erschaffen lassen, in dem 12.000 Menschen auf vier Kontinenten Autoteile produzieren, Yachten bauen, Banken und Versicherungen betreiben, Textilien, Schuhe und Möbel herstellen. Hastors Erfolg wäre ohne VW nicht möglich gewesen. Er war Manager im TAS-Automobilwerk in Sarajevo, das im damaligen Jugoslawien 20 Jahre lang die VW-Modelle herstellte. Aufbauend auf seinen Verbindungen zu VW gründete er während des Bürgerkrieges 1992 ein Netzwerk von Automobilzulieferern, die Prevent DEV GmbH mit Sitz in Wolfsburg, die auch VW weiter belieferten (Manager Magazin, 12.07.2017).

[3] Nachdem VW den Zulieferer Prevent auf das niedrigste interne Rating C abstufte, suchte der Auto-Konzern nach Alternativen und wurde bei Car Trim in Plauen fündig. Auf einen Auftrag für den Passat folgte die Order für die Sitzbezüge für den Touareg und den Porsche Cayenne. Prevent hatte sich zuvor um das 500 Millionen schwere Volumen vergeblich bemüht. Daraufhin gründeten Mensur Sacirovic (39), Leiter des Beteiligungsmanagements der Prevent-Gruppe, und Rogerio Luis Goncalves (46), Chef des in den Niederlanden registrierten Investmentarms Eastern Horizon, die Gesellschaft »Parramatta« und kauften heimlich die Car Trim GmbH, was einen Beteiligten zu der Bemerkung veranlasste, »die sind durchs Kellerfenster ins Wohnzimmer eingestiegen, und VW hat nichts gemerkt«. Als das Manöver aufflog, kam es zur Eskalation. Volkswagen kündigte die Aufträge und Prevent verweigerte die Lieferung. Rund 30.000 VW-Beschäftigten ging tagelang die Arbeit aus (Manager Magazin, 12.07.2017).

Von: mf

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